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CINDY KAUFT SICH EIN KLEID BEI H&M UND ZIEHT INS WESTGERMANY
Eine Performance von Jim Spastics & Hans Gender
Von und mit: Ulrike Bernard, Eva Burghard, Hannah Georgi, Greta Granderath, Maritta Horwath, Iris Kleinschmidt, Mathilde Walter.
UA: Juli 2008 im WestGermany. Büro für postpostmoderne Kommunikation, Kottbusser Tor, Berlin, 90 Min.
Okay, unsere Identität entsteht durch Behauptungen und Zuschreibungen. Aber die Frage ist doch: Kann ich damit beim Bäcker sieben Kaffee bestellen? Bin ich mein eigenes Kollektiv? Was ist das Gegenteil von Wiedererkennungswert und wie kann ich mich darin bewegen? Wie kann ich meine eigene Geschichte nicht im Ausschlussverfahren erzählen, sondern als Erweiterung eines nicht endenden Repertoires? Kann ich all diese Images in Zwiebeltechnik übereinander tragen?
Sieben Frauen legen auf Karteikarten eine neue Identität an: Cindy, das bin ich. Karte für Karte füllen wir einen Lebenslauf auf, mit unseren Eckdaten, mit euren Outfits, mit Blicken aus der U-Bahn, mit Kinderfotos, Posen, Interviewfragmenten und Filmszenen am Kottbusser Tor.
Dann liegt eine Identität aus zweiter Hand vor uns auf den Fliesen. Aber wir passen diesen Lebenslauf nicht an einen Verwendungszweck an, sondern lassen den Ventilatorwind entscheiden, wer wir heute sind. Vielleicht erzählt die Art, wie ich eine ehemalige Arztpraxis wische, mehr über mich als mein Geburtsort?
Auf dem Balkon, unter schlafenden Satellitenschüsseln, könnt ihr uns wiedererkennen: Ulrike, Eva, Hannah, Greta, Maritta, Iris, Mathilde. Aber eine Umkleidekabine ist unser Transitraum, von dem aus wir das Innere betreten, die Zimmer ohne Wände. Dort werden wir nach und nach zu Cindy. Auch wenn der Bob schief sitzt und wir in euren Schuhen stehen: Das bin ich.
KONZEPT
Die Zusammenarbeit des interdisziplinären, basisdemokratischen Performancekollektivs Jim Spastics & Hans Gender beginnt 2008 mit der Performance CINDY KAUFT SICH EIN KLEID BEI H&M UND ZIEHT INS WESTGERMANY, die im WestGermany. Büro für postpostmoderne Kommunikation am Kottbusser Tor stattfindet und von den Fotografien Cindy Shermans ausgeht. In dieser Site Specific-Performance setzen wir uns mit der Konstruktion von (weiblicher) Identität, mit Prozessen des Framings, mit Authentizität und Maskerade, mit Posen, Bildproduktion, und tabellarischen Lebensläufen auseinander.
In einer ehemaligen Arztpraxis entwickeln wir ein Aufführungsformat, das performative Vorgänge, Textszenen, Interaktionen mit dem Publikum, Foto-Settings, live-Kamera, und Aktionen auf der Straße assoziativ miteinander verknüpfte und den Zuschauern dabei keinen festen Platz zuweist.
Den Lebensraum um den sogenannten ‚sozialen Brennpunkt’ Kottbusser Tor versuchten wir dabei als kreatives Material zu nutzen, das auch unsere eigene Position als Teil eines privilegierten studentischen Milieus hinterfragt. In der U-Bahnhaltestelle, beim Bäcker und unter der Hochbahn drehen wir während der Performance live ein Single-Shot-Movie, während die Zuschauer uns vom Balkon aus der Vogelperspektive beobachten. Da wir sieben Performerinnen das WestGermany für fünfzehn Minuten verlassen, entsteht eine Verunsicherung in der Zuschauerhaltung gegenüber dem Aufführungsort und der Aufführungszeit – der Theaterraum als Bar, Wohnzimmer oder Wartesaal? Durch den Videodreh wollen wir zugleich den Blick nach Außen schärfen, Kreuzberg mit hineinholen: Wer ist Passant, wer Statist, wer geht zur Methadon-Ausgabe und wer zur Bio Company? Was heißt hier Verkleidung, was Überwachung?
Grundidee der Performance die fragmenthafte Konstruktion einer Identität, die so uneinheitlich ist, wie wir alle: Cindy. Diese Identität entsteht mit jeder Aufführung aus einer teils zufälligen Zusammenstellung von Fragenten unser eigenen Biographien, Interviewsequenzen Cindy Shermans, aus unseren Gesichtern, aus skizzenhaften Personenbeschreibungen der Zuschauer, aus Interaktionen mit dem Publikum. Dabei haben wir den subjektiven Standpunkt und den Solocharakter der Fotographien Cindy Shermans in chorische und kollektive Bilder übersetzt – statt als eine viele zu sein, war es unser Ziel als viele, eine zu sein. Die Bühne im WestGermany dient uns dabei ausschließlich als Transitraum, in dem immer wieder die Kleider wechseln und verschiedene Bilder von Cindy kreieren. Dem Moment zwischen Privatheit und Künstlichkeit, sowie dem steten Wechsel zwischen diesen Modi, haben wir viel Raum gegeben. Welche Bilder werden erzeugt, wenn sieben Performerinnen im gleichen Kleid unkenntlich gemacht, mit Perücke dem Publikum den Rücken zukehren oder hinter Folie gespannt ihr Gesicht nachzeichnen – im nächsten Moment aber einen Zuschauer bitten, mit ihnen die Kleider zu tauschen?
Cast:Jim Spastics & Hans Gender
Tags:Cindy Sherman, Jim Spastics & Hans Gender, CINDY KAUFT SICH EIN KLEID, Cindy and Performance Kottbusser Tor